Vorwort
Diese mittlerweile schon "betagte" Hausarbeit bietet einen
noch heute brauchbaren Überblick über die Feldenkraismethode.
Sie stellt gleichzeitig eine der vielen methodischen Sichtweisen dar,
die zu meinem Lehr - und Lernkonzept beigetragen haben.
B. Jäckel 2011
Falls Sie nicht weiter durch den Text blättern möchten,
können Sie hier zur Webseite zurückfinden: klavierunterricht-bj-wuppertal.de
_______________________________________________________________________________
Die Arbeitsprinzipien der Feldenkraismethode und
ihre Anwendung zur Unterstützung
motorischer Lernprozesse des Klavierübens
Hausarbeit
zur Staatlichen Musiklehrerprüfung
Hochschule für Musik Köln
Abteilung Wuppertal
Burkhard Jäckel
Wuppertal 1991
_______________________________________________________________________________
Inhaltsverzeichnis 2
Seite: 3 Einleitung
4 Gang der Arbeit
1. 5 Darstellung der Methode
1.1 5 Biographie des Begründers der Methode
1.2 5 Die Entstehung der Feldenkrais-Methode
1.3 6-7 Das Ziel der Methode
1.4 8 Der Weg der Methode
1.5 9 Positive Begleiterscheinungen der Methode
2 Seite 10 Die Arbeitsprinzipien der Methode
2.1 10 Arbeitsprinzip 1: Langsame, fließende
Bewegungen mit dem geringst
möglichen Kraftaufwand
2.2 11 Arbeitsprinzip 2: Aufmerksamkeit und ihre Richtung auf die
Bewegungsfigur und den Hintergrund
2.3 12 Arbeitsprinzip 3: Fortgesetzte Neuheit der Situation
2.4 13-14 Arbeitsprinzip 4: Vermeidung erkennbarer Leistungsziele
2.5 15 Arbeitsprinzip 5: Die Bevorzugung von Ruhelagen
2.6 16 Arbeitsprinzip 6: Lateraler Vergleich
2.7 17 Arbeitsprinzip 7: Vorgestellte Bewegung
2.8 18-22 Arbeitsprinzip 8: Bewußtes Variieren und Differenzieren
von Bewegungen
2.9 23 Arbeitsprinzip 9: Systematische Vervollständigung und
Korrektur des Ich-Bildes
3 25 Möglichkeiten der Anwendung der Arbeitsprinzipien
zur Unterstützung motorischer Lernprozesse des Klavierübens
3.1 26 Beispiel einer praktischen Lektion, die sich auf eine konkrete
schwierige Stelle einer Klaviersonate bezieht und zu deren
Erlernen beitragen kann
3.1.1 26 Eine schwierige Stelle aus einer Klaviersonate
3.1.2 26-27 Skizze der üblichen technischen Erarbeitung der Stelle
3.1.3 27 Reduktion der Spielfigur auf ihre grobmotorische Basis,
die als Ausgangsmaterial für die praktische Lektion dient
3.1.4 27 Die Bedeutung der Bewegung im Klavierspiel
3.1.5 27 Vorbemerkungen zur Ausführung der Übung
3.1.6 27-33 Die praktische Lektion
33 Nachwort
34 Literaturverzeichnis
_______________________________________________________________________________
Einleitung 3
Wenn man ein Klavier zum Klingen bringen will, muß man sich und die Tasten bewegen.
Die schönsten musikalischen Werke teilen sich nur dann mit, wenn der Spieler in der
Lage ist, der Idee gemäße Bewegungen auszuführen, die durch das Instrument die
Klangwirklichkeit erzeugen. Das komplexe Geflecht der Handlungsbestandteile des
Klavierspielens, das Musik denken, Musik empfinden, Musik hören und die Bewegung,
deren Wirkungen einander bedingen und beeinflussen,
bietet viele Möglichkeiten, die Stellung der Bewegung innerhalb des ganzen Vorgangs
einzuordnen und eröffnet entsprechend viele Wege, die für einen Lernprozeß vorschlagbar sind.
Jemand, der an schwierigen Stücken dauerhaft scheitert oder mit Verspannungen,
Schmerzen oder sogar Entzündungen zu kämpfen hat, wird sich beim Üben eingehender
mit seinen Bewegungen beschäftigen. Er wird sich, seinen Lehrer und Bücher danach fragen,
wie denn Bewegungen "richtig" seien, wie er sich durch "richtige" Bewegungen
ermöglichen kann, Musik am Klavier zu machen.
Um Antworten, die ideale Bewegungen beschreiben, wird kaum ein Buch oder ein Lehrer
verlegen sein. Es existieren eine Menge Erörterungen und Ansichten über die geeignete
Haltung am Klavier, über die Beschaffenheit der zum Spielen verwendbaren Kräfte und die
beste Art ihres Einsatzes und über die körperlichen Empfindungen,welche
die "richtige" Bewegung begleiten. Wie durchdacht oder begründet das Ideal einer Lehre
auch sei, interessant wird es für den Lernenden wenn es darum geht, wie er seine Fähigkeiten,
sein Verhalten, dem Ideal, das er sich zu eigen machen wünscht, annähern kann.
Auf der Suche nach gangbaren Wegen für die Bewältigung motorischer Schwierigkeiten
ist es meiner Erfahrung nach sehr schwierig, fündig zu werden. Didaktische Konzepte,
die dem Individuum helfen würden, effektive Bewegungen zu finden, sind besonders
im Verhältnis zu den umfassenden Darstellungen von Bewegungsidealen dürftig
oder gar nicht vorhanden.
Zeugnis für den daraus resultierenden Notstand legen
manche Studenten ab, die neue
Lehrer suchen, Ärzte konsultieren oder Bewegungsfachleute aufsuchen.
Ich habe innerhalb der Feldenkrais-Methode, deren Programm "Bewußtheit durch Bewegung"
auch die Besserung von Bewegungsfähigkeiten beinhaltet, ein didaktisches Konzept
kennengelernt, das dem Übenden in zahlreichen Lektionen Verbesserungen seiner
Bewegungen fühlbar und erlebbar macht. Nicht theoretische Abhandlung von Zielvorstellungen,
sondern praktische Erarbeitung eigener Empfindungs- und Unterscheidungsfähigkeit stehen
bei den Übungen im Vordergrund, so daß der Schüler selbst
zu beurteilen lernt, was bessere
oder schlechtere oder angemessene Bewegung sei. Ich mache seit fünf Jahren Feldenkrais-Lektionen
aus Büchern, nach Kassetten und Kursen und konnte mich in
dieser Zeit immer wieder von der
Wirksamkeit der Übungen überzeugen. Meine positiven Erfahrungen haben in mir die Frage aufgeworfen,
ob die Feldenkrais-Methode auf Bewegungen, die ich beim Klavierspielen brauche, anwendbar ist,
ob ich beim Erlernen dieser Bewegungen Widerstände leichter und schneller auflösen kann,
indem ich die Arbeitsweise der Feldenkrais-Methode übertrage.
Nach zahlreichen Versuchen bin ich der Meinung, daß eine solche Übertragung sehr
nützlich und sinnvoll sein kann und schlage deshalb hier einen möglichen Weg vor.
_______________________________________________________________________________
Gang der Arbeit 4
Der erste Teil meiner Arbeit besteht aus einem kurzen Referat, das dem Leser zunächst
allgemeinere Informationen über die Feldenkrais-Methode vermittelt.
Einen tieferen Einblick in die Methode ermöglichen die beiden weiteren Teile, die neun
Arbeitsprinzipien und die praktische Übung. Die Arbeitsprinzipien sind in der hier
gebrachten Form von mir aus verschiedenen Quellen gewählt und zusammengestellt
worden. Die vielseitigen, umfangreichen Äußerungen des Begründers der Methode würden
eine andere Gewichtung und Zusammenstellung durchaus erlauben und führen
notwendigerweise dazu, daß jede Auswahl auch einen nicht geringen Verlust in sich birgt.
Nach fünfjähriger Erfahrung mit der Feldenkraisarbeit und vielen eigenen Experimenten,
wird meine Auswahl sicher wesentliche und wichtige Punkte enthalten.
Die Kriterien meiner Auswahl ergeben sich aus folgenden Anliegen:
Ich möchte diejenigen theoretischen Gedankengänge des Begründers der Methode
herausfiltern und zum Extrakt verkürzt darstellen, deren praktische Auswirkungen
sich unmittelbar nachvollziehen lassen und deren Anwendung nach meiner Erfahrung
den Erfolg motorischer Lernprozesse erheblich steigern können.
Viele der Gründe für verschiedene Fragestellungen, für den Aufbau und die
Gestaltung der Lernsituation in Feldenkrais-Lektionen, werden dadurch sichtbar und
setzen so den geneigten Leser in die Lage, diese Arbeitsweise direkt in eigene praktische
Versuche umzusetzen. Beispiele solcher Umsetzungen finden sich im dritten Teil der
Arbeit und im Arbeitsprinzip 8. Diese Übungen und Ergebnisse meiner eigenen Versuche.
Der Wert dieser aufgezeigten Wege erschließt sich nur dem ganz, der unter möglichst
weitgehender Berücksichtigung der Arbeitsprinzipien mehrere eigene Versuche macht.
_______________________________________________________________________________
1. Darstellung der Methode 5
1.1 Biograghie des Begründers der Methode
Moshé Feldenkrais wurde 1904 in der russischen Stadt Slavuta geboren. Er wanderte
14-jährig alleine nach Palästina aus und studierte, nachdem er 1927 sein Abitur
abgelegt hatte, Mathematik. Anschließend arbeitete er als Landvermesser und schrieb
zwei Bücher. Eines über Autosuggestion und eines über Selbstverteidigung.
(Die beiden Bücher werden nicht mehr verlegt) Im folgenden Jahrzehnt
lebte er in Paris, wo er Träger des schwarzen Gürtels im Judo, Elektro- und
Maschinenbauingenieur und Doktor der Physik wurde. In dieser Zeit war er mit
Marie Joliot-Curie an der ersten Kernspaltung in Frankreich beteiligt und gründete
den ersten französischen Judo-Club.
Als 1940 die Deutschen in Frankreich einfielen, entkam Moshé Feldenkrais nach London.
Dort arbeitete er für die britische Admiralität, in der wissenschaftlichen Abteilung zur
U-Boot-Abwehr. Nebenbei forschte er auf den Gebieten Neuro- und Verhaltens-
physiologie und wandte die nach ihm benannte Methode erstmals an.
1949 erschien sein Buch "Body and Mature Behaviour - A Study about
Anxiety; Sex; Gravitation and Learning" in London. Ein Jahr später, inzwischen
46 Jahre alt, wurde er zum Direktor der elektronischen Abteilung der israelischen
Streitkräfte ernannt.Allmählich zog er sich dann aus seinem Beruf als Physiker zurück
und gründete in Tel Aviv das erste Feldenkrais-Institut, um dort und weltweit seine
Methode zu unterrichten. Moshé Feldenkrais starb 1984 in Tel Aviv.
1.2 Die Entstehung der Feldenkrais-Methode
Wenn man den Lebenslauf von Moshé Feldenkrais betrachtet, kann man sich fragen,
wie er dazu kam, seine Karriere als Physiker aufzugeben, um seine bewegungsorientierte
Methode zu entwickeln und zu lehren. Ein starkes Motiv waren große, plötzliche
Schmerzen, die er als Spätfolge einer Knieverletzung zurückbehielt und die sich mit
ärztlicher Hilfe nicht beheben ließen. Sein Forschergeist wurde hierbei besonders durch
ein Erlebnis angeregt, das nach dem Stand der Wissenschaft nicht erklärt werden konnte.
Er renkte sich, kurze Zeit nachdem er sich die erste Verletzung zugezogen hatte, auch
noch das zweite Knie aus. Am darauffolgenden Tag war das
zuerst lädierte Knie nahezu
beschwerdefrei.
Diese auffällige Spontanheilung veranlaßte ihn zu der Vermutung, daß Vorgänge
im Zentralnervensystem dem Knie diese erstaunliche Wiederherstellung seiner Funktion
ermöglichten. Später entdeckte er noch andere Fälle, bei denen sich Heilungsprozesse
extrem beschleunigten, wenn die der betroffenen Region spiegelsymmetrisch
gegenüberliegende Körperregion ein plötzliches Trauma erlitt.
Sein Interesse richtete sich deshalb auf Änderungen in der anatomischen Struktur
und Funktion, die durch das Zentralnervensystem verursacht bzw. erreicht werden können.
Er eignete sich Kenntnisse über Anatomie, Orthopädie,
Hirnforschung
sowie Neuro- und Verhaltensphysiologie an und entdeckte während
seiner erfolgreichen
Selbsthilfe eine Arbeitsweise, mit der er später auch von der Schulmedizin aufgegebene
Kranke erfolgreich behandelte. Durch seine Arbeit mit Behinderten und chronischen
Schmerzpatienten machte er die wichtigsten Erfahrungen, die er bei der Entwicklung
seiner Methode in die Praxis umsetzte.
_______________________________________________________________________________
6
1.3 Das Ziel der Methode
Moshé Feldenkrais arbeitete mit sich, um mit seinen Knien besser gehen zu können
und später mit Hilfesuchenden, die mit Schmerzen, Lähmungen oder Verletzungen
zu ihm kamen. Das erklärte Ziel seiner Methode ist jedoch nicht, Kranke zu heilen,
sondern jedem, der es wünscht, Bewußtheit zu vermitteln.
Unter Bewußtheit versteht Moshé Feldenkrais:
” bewußtes Wissen, bewußtes Erkennen, Gewahrwerden oder Innesein “
( M. Feldenkrais: ”Die Entdeckung des Selbstverständlichen”, S. 138 )
Eine andere Darstellung dieses Inneseins findet sich in seinem Aufsatz
" Bewegungserziehung zur Verbindung von Körper und Geist ":
” Ich stelle immer wieder deutlich heraus, das unsere Arbeit zu bewußten
Aktionen führen soll, oder zu der Fähigkeit, praktisch gleichzeitig Kontakt
mit seinem eigenen Knochengerüst, den Muskeln
und der Umgebung herzustellen. “
Ein paar Zeilen weiter drückt er seine Zielvorstellung etwas allgemeiner aus:
” Alle diese Übungen streben nach dem Erlangen der geistigen
und körperlichen Koordination und in der Hauptsache nach
guter aufrechter Haltung und korrekten Handlungen. “
Wie lebensnah korrekte Handlungen angestrebt werden den, zeigt sich z.B. im
praktischen Teil der ersten Lektion seines Buches
” Bewußtheit durch Bewegung “, S. 110 – 120:
Das Aufstehen von einem Stuhl ist Thema der Übung.
_______________________________________________________________________________
7
In der zweiten Lektion aus ”Bewußtheit durch Bewegung“, S. 121 - 126,
werden gute Bewegungen und ihre Eigenschaften
ausführlicher erklärt. Diesen
allgemeinverständlichen Erklärungen liegt eine Definition korrekter Aktion
zugrunde, die weiteren Einblick in die Gedanken des Begründers der Methode
zur Zielsetzung gewährt:
” 1. Das Trajekt* eines jeden Knochens des Skeletts ist so ausgerichtet, als ob das
ganze Skelett vom Kopf oder ausgestreckten Arm her heraufgezogen würde
in seine Endstellung. (Vgl. hierzu: ”Bewußtheit durch Bewegung“, S. 127, 8.)
2. Die Muskeln operieren in demselben Sinne wie die Trajekte* der Knochen.
4. Diese drei Bedingungen stimmen überein mit dem Gesetz des
geringsten Kraftaufwandes.
5. In jedem Moment und in jeder Phase einer Bewegung ist die Rate der
Vermehrung der verfügbaren thermalen Energie minimal.
Es ist absolut möglich, mit diesen Angaben für jeden Knochen und Muskel und die
Gesamtintegrierung des Körpers Differentialgleichungen aufzustellen, die die
Artikulierung für jede Bewegung angeben würden. "
sinnvolle, Bedeutung des Wortes "Trajekt" ermitteln können. Im dtv-Atlas der Anatomie,
(Bd. 1, S. 14) werden mikro- und makroskopisch erkennbare Spannungslinien,
die sich in Knochen ausbilden und je nach Belastung verändern, als Trajektorien bezeichnet.
Ich nehme an, das in diesem Zusammenhang mit " Trajekt " eine aus diesen Trajektorien
zusammengefaßte Ideallinie gemeint ist, in deren Richtung Kräfte durch den
Knochen geleitet werden sollen.
_______________________________________________________________________________
8
1.4 Der Weg der Methode
Die Methode gliedert sich in zwei Vermittlungstechniken:
1. " Funktionale Integration ":
Sie ist nonverbal, findet in Einzelstunden statt und wendet sich an
"die ältesten Teile unseres sensoriellen Systems: die auf Berührung reagieren, auf
die Empfindung von Zug und Druck, auf die Wärme der Hand und ihre Streichelbewegung"
( M. Feldenkrais: ”Die Entdeckung Selbstverständlichen”, S. 179)
Ein Lehrer stimuliert mit seinen Händen die
"primitivsten d.h. entwicklungsgeschichtlich
ursprünglichsten vom Bewußtsein vergessenen Verhaltensschemata"
( M. Feldenkrais: ”Die Entdeckung Selbstverständlichen”, S. 179)
und erreicht dadurch eine verbflüffende Leichtigkeit von Bewegungen, die aus
Gewohnheit und anderen Gründen schlechter koordiniert oder gar nicht mehr möglich waren.
Beispiele für diese Art der Behandlung finden sich in folgenden Büchern:
Feldenkrais, M.: Abenteuer im Dschungel des Gehirns, ab S. 40
Feldenkrais, M.: Die Entdeckung des Selbstverständlichen, S. 204
Rywerant, Yochanan: Die Feldenkrais-Methode, S. 151
2. " Bewußtheit durch Bewegung ":
- ist die Gruppentechnik, die entwickelt wurde, um die Methode in Form von Lektionen
einer größeren Zahl von Menschen zugänglich zu machen. Ein Feldenkrais-Lehrer fordert
zu Bewegungsübungen auf, welche meist im Liegen stattfinden und aus einer genau
kalkulierten Sequenz verschiedener, einfacher Aktionen bestehen, wie z.B. das Heben
und Senken einer Hüfte oder Rollen des Kopfes. Die Bewegungen sollen in der Regel
langsam und leicht ausgeführt werden, während der Lehrer die Teilnehmer dazu anleitet,
die Aufmerksamkeit auf verschiedene Aspekte ihrer Sinnesempfindungen zu richten:
den Umfang der Bewegungen,
das Verhältnis zwischen Atem- und Bewegungsphasen,
die Kraftquellen der Bewegung, die passiv mitbewegten Körperteile,
den Bodenkontakt des Körpers und vieles mehr.
Am Ende einer solchen Lektion stellen die Teilnehmer Veränderungen in der Art wie sie
atmen, gehen und in der ganzen Körperhaltung fest.
Ihre Bewegungen sind leichter und fließender geworden und ihre Haltungen aufrechter.
Durch den Vergleich des neuen Körpergefühls mit dem gewohnten,entsteht mit der Zeit
eine größere Empfindungs- und Unterscheidungsfähigkeit, die zu größerer Bewußtheit führt.
Die zwölf Lektionen in ”Bewußtheit durch Bewegung“ sind eine Auswahl aus über tausend, in
Tel Aviv erteilten, Gruppenstunden. Neben vielen Büchern, in denen sich weitere Übungen
finden, gibt es auch von Franz Wurm (einem Feldenkrais-Lehrer aus Zürich) besprochene
Kassetten, nach denen man einige Lektionen zu Hause usführen kann. In vielen Städten bieten
ausgebildete Feldenkrais-Lehrer privat oder in Bildungseinrichtungen mittlerweile Kurse an.
_______________________________________________________________________________
9
1.5 Positive Begleiterscheinungen der Methode
Wer eine gewisse Zeit lang mit Hilfe der Feldenkrais-Lektionen an seiner Bewußtheit
arbeitet, wird Bekanntschaft mit Effekten machen, die er als jeweiliges Hauptziel
verstehen kann, die Moshé Feldenkrais jedoch so einordnet: "Das Verfahren, das ich
vorschlage ist keine Behandlung sondern Umerziehung des Erwachsenen. Prophylaxe
und Therapie erweisen sich hier demnach als bloße Nebenerscheinungen funktions- und
das bedeutet menschengerechten Umlernens."
( M. Feldenkrais: ”Die Entdeckung Selbstverständlichen”, S. 221)
Hier eine Zusammenstellung solcher Nebenerscheinungen:
a) Durch verbesserte Koordination werden Verschleißerscheinungen im Bewegungsapparat
vermieden. Hohlkreuze oder Skoliosen (dauerhafte seitliche Krümmung der Wirbelsäule),
X- und O-Beine können gebessert werden.
b) Das Allgemeinbefinden bessert sich in mehrfacher Hinsicht: Bewegungen werden leichter,
freier, der Atem fließender, ruhiger und Gedanken und Gefühle klarer.
c) Es kommt zu Selbsterkenntnissen im Alltag. Ich bin mir z.B. meiner Abneigung gegen
Spülen bewußt geworden. Ich war im wahrsten Sinne des Wortes abgeneigt, stand beim
Spülen immer ein wenig schräg, so daß sich Kopf und Oberkörper unzweckmäßig vom
Zentrum der Handlung entfernten. Diese Haltung war anstrengend, was mir das Spülen
noch mehr verleidete. Heute nehme ich eine angenehmere Haltung bei dieser Tätigkeit ein
und unterbreche sie, bevor sie in mir Verspannungen verursacht.
Wie stehen Sie zum Spülen?
d) Einstellungen seelischer Natur, wie z.B. Ängstlichkeit oder eine depressive Grundhaltung,
drücken sich u.a. auch in Bewegungsgewohnheiten und in deren Folgen in der
Skelettstruktur aus. Wer mit dem Bild einverstanden ist, das der Mensch aus Körper, Seele
und Geist zugleich besteht, wird sich vorstellen können, daß eine Besserung der körperliche
Komponente, durch längerfristie Erarbeitung von Bewegungsalternativen, eine Besserung
der beiden anderen Komponenten bewirkt.So kann ein eher melancholischer Mensch, der
den "aufrechten Gang" erlernt, eine Aufhellung seiner seelischen Grundstimmung erfahren.
e) Die Koordination der gesamten Körperbewegungen kann sich so verbessern, daß auch
schwierige Tätigkeiten, wie z.B. Tanzen und Klavierspielen, leichter fallen.
f) Im Zusammenhang mit lateralen bzw. bilateralen Übungen
(siehe Arbeitsprinzip 6 b und. c) kann es zu interessanten Transfer-Effekten kommen.
Als ich intensiver solche Lektionen praktizierte, konnte ich z.B. eine merkliche und
manchmal verblüffende Besserung im Kopfrechnen und in der Gedächtniseistung feststellen.
_______________________________________________________________________________
10
2. Die Arbeitsprinziepien Der Methode
2.1 Arbeitsprinzip 1:
Langsame, fließende Bewegungen mit dem geringstmöglichen Kraftaufwand
Das eigene Urtel über Bewegungen kann nur so genau sein, wie die Wahrnehmungsfähigkeit
es zuläßt.Für jemanden der wissen möchte, wie er sich bewegt, um selbst unterscheiden
zu können, welche Art seiner Bewegungen leichter oder besser sein könnte,ist es deshalb
wichtig, seine Wahrnehmungsfähigkeit zu schärfen. Er muß aufmerken, um die Reize,
die seine Sinne empfangen, deuten zu können. Ist er aufmerksam, dann entscheidet
die relative Stärke der gleichzeitig eintreffenden Reize darüber, was er wahrnimmt
und was nicht:
Im Umfeld eines starken Reizes kann man kleine Änderungen in der Reizstärke
nicht wahrnehmen.Z.B. die Landung einer Fliege auf einem schweren Koffer den man trägt,
bemerkt man nicht.
Hält man hingegen eine Feder in der Hand, ist die Landung
einer Fliege darauf spürbar, denn das Reizumfeld ist im Verhältnis zur Reizändeung
nicht mehr zu stark.
(Beispiel aus: ”Bewußtheit durch Bewegung“,S. 89, unter 4.)
In dem psychophysischen Gesetz von Weber und Fechner wird diese Verhältnismäßigkeit
beschrieben. Sie ist je nach Reizform und Intensitätsbereichen verschieden.
(Vgl. Schmidt/Tews: Die Physiologie des Menschen, S. 202)
Allgemein läßt sich ableiten, daß die Reduzierung einer bestehenden Reizung auf ein
Minimum, die Wahrnehmung schwächster Reize ermöglicht. Genau dies ist das Ziel
dieses Arbeitsprinzips. Langsame, fließende, kraftsparende Bewegungen stellen für das
taktile und kinästhetische Sensorium ein reduziertes Reizumfeld dar, vor dessen Hintergrund
die kleinen, schwachen Sensationen überhaupt erst bemerkt werden können.
Auf diese Weise wird der Erfahrung und Beurteilung eigener Bewegungen eine
verfeinerte Wahrnehmungsfähigkeit zugrundegelegt, die neue Entdekkungsmöglichkeiten
schafft. So kann der Lernende z.B. überflüssige, parasitäre Mitbewegungen erkennen
und später langsam ausschalten.
______________________________________________________________________________
2.2 Arbeitsprinzip 2: 11
Aufmerksamkeit und ihre Richtung auf die Bewegungsfigur und den Hintergrund
Um zu erklären, warum Aufmerksamkeit die durch Feldenkrais-Lektionen gezielt
geförderte Art der Betrachtung ist, beschreibe ich zunächst, was ich in
diesem Zusammenhang unter Konzentration und unter Aufmerksamkeit verstehe,
damit durch diese Abgrenzung die näheren Erläuterungen an Deutlichkeit gewinnen:
Konzentration ist eine Art der Betrachtung, die sich auf ein einziges,
gewähltes Ereignis richtet und andere Ereignisse von der Anschauung möglichst
weitgehend ausschließt. Sie ist zielgerichtet, aktiv und willensbetont.
Aufmerksamkeit ist eine Art der Betrachtung oder Wahrnehmungsbereitschaft,
die sich von einfachen, klaren Ereignissen einfangen läßt und sich leicht zu
anderen Ereignissen verschieben oder auch mehrere gleichzeitig umfassen kann.
Sie ist spielerisch, pasiv, tendiert zur Ausbreitung und ist absichtslos.
Moshê Feldenkrais führt im wesentlichen drei Gründe an, aus denen ersichtlich wird,
warum er Aufmerksamkeit bei seinen Übungen bevorzugt und Konzentration ablehnt:
1. Der Konzentrierte könnte sich zu sehr um sein Ziel bemühen. Indem er sich Mühe gibt,
mobilisiert er möglicherweise unnötige Kräfte und läuft Gefahr, diesen überflüssigen
Mehraufwand zu einem festen Bestandteil neu erlernter Fertigkeiten zu machen.
2. Durch die Formierung der Anschauung werden Sinneseindrücke von der Wahrnehmung
ausgegrenzt. Ereignisse, wie unwillkürliche Muskelspannungen oder unnötige
Mitbewegungen, die vom Zentrum der geübten Bewegung entfernte Körperteile betreffen,
können dann nicht mehr bemerkt werden. Störende Mitbewegungen müssen aber unbedingt
bemerkt, gefühlt und beseitigt werden, wenn jemand leichte, effektive Bewegungen anstrebt.
3. Wer von Ziel und Zweck einer neuen Bewegung absieht und seine Anschauung
während er die Bewegung erprobt auf seinen ganzen Körper und dessen Umgebung
ausdehnt, der kann schon allein dadurch das Zusammenspiel des Ganzen fördern und
unbewußte Hindernisse erkennen.
Die Wirkung dieser sich ausdehnenden, öffnenden Art der Anschauung erschließt sich
dem Klavierspielenden vielleicht am leichtesten bei Kompositionen, die häufiges,
weiträumiges Übergreifen der Hände erfordern. Er muß dazu die nötigen Bewegungen
langsam wiederholen und gleichzeitig erkunden, was seine Finger,
Arme, Schultern, der Kopf, der Rumpf, das Becken, Beine und Füße dabei tun.
Um die Gesamtintegration von Bewegungen zu fördern, gibt es in der Feldenkrais-Methode
eine bestimmte Art, die Aufmerksamkeit des Lernenden durch entsprechende Fragestellungen
zu lenken:
Sie soll sich erst abwechselnd und dann gleichzeitig auf die Bewegungsfigur
und den Hintergrund richten. ( M. Feldenkrais: ”Die Entdeckung Selbstverständlichen”, S. 137)
Das was man bewegt, was man in der räumlichen Position also willkürlich ändert,
ist die Bewegungsfigur. Ihr Hintergrund sind die passiv mitbewegten und ruhenden
Körperteile, die Atmung und die Umgebung, d.h. der Boden und der Raum.
Auf diese Weise wird der innere und äußere Kontakt des sich bewegenden Schülers vertieft.
_______________________________________________________________________________
2.3 Arbeitsprinzip 3: 12
Fortgesetzte Neuheit der Situation
Wenn jemand einen Kühlschrank hört, der gerade anspringt, wird er dessen Brummen,
wenn es nicht laut ist und gleichförmig bleibt, nach einiger Zeit vergessen und überhören,
obwohl es weiterhin in unverminderter Stärke vorhanden sein wird.
Viele bekannte, erkannte und gleichbleibende Reize werden völlig in den Hintergrund
der Wahrnehmung gedrängt, wenn sie sich nicht verändern.
Ähnlich verhält es sich, wenn jemand eine monotone, gefahrlose Tätigkeit ausübt.
Seine Aufmerksamkeit wird von diesem Tun nur kurz in Anspruch genommen,
bis sie abschweift und sich auf Gedanken oder äußere Ereignisse richtet.
Die langweilig gewordene Tätigkeit läuft dann automatisch weiter, nach den schon gelernten
und verfügbaren Bewegungsmustern. In einer Situation, in der neue Bewegungen erlernt
werden sollen, können sich die angestrebten Fähigkeiten nur dann entwikkeln,
wenn die Aufmerksamkeit voll erhalten bleibt, denn sobald
die Aufmerksamkeit abschweifen
würde, könnten alte, schon bekannte Arten der Bewegungen automatisch ablaufen und
Lernen wäre nicht mehr möglich.
Um geistlose Wiederholungen zu vermeiden, um die Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten
und um Wachheit ohne größeren Willensaufwand zu ermöglichen bestehen
Feldenkrais-Lektionen aus immer neuen Situationen.
Die Mittel der in diesem Sinne geeigneten Gestaltung einer Lektion sind einfach:
a) Begrenzung der Wiederholungszahl einer Bewegung, die in einer
unveränderten Situation stattfindet. Die Geschwindigkeit, mit der eine Bewegung aus-
geführt wird, bestimmt die Zahl ihrer Wiederholungen.
Bei sehr langsamem Tempo kann es schon nach 5 bis 7 Bewegungen schwierig werden,
mit wachem Interesse zu folgen. Bei etwas höherem Tempo sind entsprechend mehr
Wiederholungen möglich. In ”Bewußtheit durch Bewegung“ werden zwischen
10 und 30 Wiederholungen empfohlen.
b) Lenkung der Aufmerksamkeit auf verschiedene Teil und Gesamtaspekte einer Bewegung,
die in unveränderter Situation (d.h. Lage des Körpers im Raum) ausgeführt wird.
Wer bei jeder Wiederholung einer Bewegung die Richtung seiner Aufmerksamkeit
verlagert, kann mehreren Wiederholungen ohne Mühe folgen.
c) Variation von Bewegungen in gleichbleibender Körperposition. Man kann z.B. die
Geschwindigkeit, die Richtung der Bahn die ein bewegtes Körperteil beschreibt,
wie auch die Länge und die Form dieser Bahn variieren.
d) Wechsel und Kombination von Bewegungen in gleichbleibener Position.
Wer z.B. in der Rückenlage einige Zeit mit Bewegungen des Kopfes oder der Schultern
zugebracht hat, kann zu Bein- oder Hüftbewegungen wechseln und die Situation
auf diese Weise auffrischen. Anschließend könnte er z.B. eine Hüftbewegung mit einer
Schulterbewegung kombinieren, indem er die Bewegungen gleichzeitig ausführt und
deren gegenseitige Beeinflussung untersucht.
e) Änderung der Körperlage: z.B. Rückenlage, Bauchlage, Seitenlage links und rechts,
Sitzen, Knien mit Aufstützen der Ellenbogen usw. (Siehe hierzu auch Arbeitsprinzip 8 d)
f) Pause für ein bis drei Atemzüge: Dieses kurze Unterbrechen von Aktionen kann
dieAufnahmebereitschaft des Lernenden fördern.
_______________________________________________________________________________
2.4 Arbeitsgrinzip 4: 13
Vermeidung erkennbarer Leistungsziele
Zielstrebigkeit, Willenskraft, Leistung und Erfolg haben
in unserer Gesellschaft einen hohen
Stellenwert. Schon in der Schule
werden die zu lernenden Inhalte durch die Bewertung mit
Leistungskategorien verknüpft, so daß weniger Neugierde und Wissensdrang, sondern mehr
die guten Zensuren und deren Anerkennung zur Motivation dienen. Schelchte Zensuren und
das Nichterreichen des Klassenziels sind Bedrohungen, die Lernbereitschaft erzwingen sollen.
Ein Mensch aus unserem Kulturkreis kann sich deshalb leicht ein Lernverhalten angewöhnen,
das zu Willensüberspannung und Angst neigt. Diese
Verhaltensmuster können später auch
dann auftreten, wenn jemand selbstbestimmt lernt. Übergroßer Wille, etwas zu erreichen und
Angst, es nicht zu schaffen, sind jedoch in ihren körperlichen Erscheinungsformen beim
Anbahnen neuer, effektiver Bewegungen hinderlich.
Eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der Verhaltensstudien,
die Moshé Feldenkrais betrieb, zeigt, wie Angst den Körper beeinflußt
und läßt den negativen Einfluß auf die Bewegungsfähigkeit und allgemeine
Lernfähigkeit erahnen:
1. Die Beugemuskulatur wird überaktiviert.
(Vgl. Rywerant, Yochanan: ”Die Feldenkrais-Methode”, S. 243)
"Dieses Schema der Beugerkontraktion stellt sich jedes Mal wieder ein,
wenn ein Mensch auf passiven Selbstschutz zurückgreift."
( M. Feldenkrais: ”Die Entdeckung Selbstverständlichen”,S 106)
2. Die Streckmuskulatur wird gehemmt. Unter allen Instinkten drückt sich nur einer durch
Bewegungshemmung aus: die Furcht.
( M. Feldenkrais: ”Die Entdeckung Selbstverständlichen”, S. 92)
3. Die Pulsfrequenz steigt.
( M. Feldenkrais: ”Die Entdeckung Selbstverständlichen”, S. 92)
4. Der Atem wird angehalten.
( M. Feldenkrais: ”Die Entdeckung Selbstverständlichen”, S. 92)
Was die Willensüberspannung angeht, läßt sich nach meiner Auffassung allgemein sagen,
daß sie sich durch vermehrten Kraftaufwand, ohne funktionsgebundenen Zweck, äußert.
Beim Einzelnen entstehen diese unzweckmäßigen Spannungen in verschiedenen
Körperregionen. Manche Menschen beißen die Zähne zusammen, drücken die Zunge
gegen den Gaumen, steifen den Brustkorb, ziehen die Bauchdecke ein oder
krallen die Zehen usw.
_______________________________________________________________________________
Moshé Feldenkrais versucht schon durch die Vermeidung erkennbarer Leistungsziele 14
vorzubeugen, damit diese unerwünschten Verhaltensweisen beim Lernen
gar nicht erst entstehen können und die Schüler gelassen bleiben.
Folgende Möglichkeiten der Gestaltung von Bewegungsübungen verdeutlichen,
wie konsequent Ziele verschleiert werden, um dem Schüler die Beachtung seiner Mittel
und seiner Art ihres Gebrauchs nahezulegen:
a) Es werden nur einfache Bewegungen verwendet.
b) Die Bewegungen werden nie vorgemacht. Sie werden durch das Wort vermittelt,
in einer offenen Sprache, die individuelle Varianten zuläßt. In dem Buch
”Bewußtheit durch Bewegung“ sind nur einige Ausgangspositionen mit Hilfe einer
Puppe abgebildet, die durch ihr neutrales Aussehen kein konkretes Maß und Ziel der
Vollkommenheit bietet und so den Lernenden
nicht von seinen eigenen Möglichkeiten ablenkt.
c) Bewegungen werden unter Bedingungen geübt, die möglichst weit abliegen von der
Normalsituation, in der sich Gewohnheiten gegenüber den angestrebten Alternativen
behaupten können. So erklärt sich unmittelbar, warum der "aufrechte Gang"
durch Feldenkrais-Lektionen im Liegen gebessert wird.
e) Komplexe Bewegungen werden in Teilfiguren zerlegt, die keine bestimmte,
zweckgebundene Handlung erkennen lassen.
Die Schüler werden ermuntert, den Umfang der Bewegungen nicht bis an die Grenze ihrer
Möglichkeiten auszuweiten, wie sie es von gymnastischen
Dehnungsübungen gewöhnt sein
könnten, sondern sich im Bereich des leicht Möglichen zu bewegen und
immer weniger Kraft aufzuwenden.
Moshé Feldenkrais fordert seine Schüler auf:
"Machen Sie's schlecht, falsch, machen Sie's häßlich."
( M. Feldenkrais: ”Die Entdeckung Selbstverständlichen”, S. 8)
Oder: "Seien Sie weder ernst noch eifrig, trachten Sie nicht Fehler zu vermeiden."
( M. Feldenkrais: ”Die Entdeckung Selbstverständlichen”,S. 137)
2.5 Arbeitsgrinzig 5: 15
Die Bevorzugung von Ruhelagen
Die meisten Feldenkrais-Lektionen finden auf dem Boden in verschiedenen Ruhelagen
statt, die ohne Anstrengung beibehalten werden können. Auch dieseBeeinflussung der
Situation des Schülers zielt darauf ab, bestmögliche Bedingungen des Lernens zu
schaffen. Moshé Feldenkrais nähere Erklärungen dazu sind hier kurz zusammengefaßt:
1. Eine der Aufgaben von Muskeln und Nervensystem ist die Aufrechterhaltung bzw. die
ständige Wiederherstellung des Gleichgewichts des Menschen im Schwerefeld. Die mit
dieser Aufgabe verbundene Aktivität des Nervensystems kann sich im Liegen verringern,
weil die mit dem Stehen verbundenen Reize sowie deren Verarbeitung durch die
motorischen Zentren und den Vestibular-Apparat wegfallen. Dadurch erhöht sich das
Aufmerksamkeitspotential, das sonst zum Teil an die Tätigkeit Stehen oder
Gehen gebunden wäre. Schließt man noch die Augen, fällt auch die optische Reizung
weg, so daß die Entlastung des Nervensystems vervollständigt wird.
(Vgl. M. Feldenkrais: ”Die Entdeckung Selbstverständlichen”S. 76 sowie
Rywerant, Yochanan: ”Die Feldenkrais-Methode”, S. 87/88)
2. Die für das Stehen und Aufrechtsein benötigten Muskeln brauchen im Liegen keine Arbeit
mehr zu leisten. Ihre Entspannung ist nur möglich, wenn man auf dem Boden liegt, wo sie
dann einer verfeinerten Wahrnehmungsfähigkeit zugänglich sind. (siehe Arbeitsprinzip. 1)
So können die Eigenschaften dieser Muskeln bei Bewegungen bewußter werden.
Extreme Vertiefung von Entspannungszuständen wäre jedoch unangemessen, denn um
tätig zu lernen, braucht der Schüler nicht nur geistige Wachheit,
sondern auch gute Ansprechbarkeit der Muskulatur.
3. Im Liegen kann sich die emotionale Situation beruhigen. Atemfrequenz und Pulsfrequenz
verlangsamen sich. Angstfreiheit und Gelassenheit stellen sich leichter ein.
Die Rückenlage nimmt unter den möglichen Positionen eine Sonderstellung ein, weil sie als
"Prüflage"dient:
Der Schüler macht zu Beginn, während und am Ende einer Lektion einen inneren Rundgang,
um Veränderungen in seinem Körper registrieren zu können. Er erspürt mit geschlossenen
Augen Art und Größe des Bodenkontaktes aufliegender Körperteile und die Entfernung nicht
aufliegender Körperteile vom Boden, indem er seine einfachen, primären Sinneseindrücke
registriert und links und rechts vergleicht. Die Mittellinie, Kreuzbein, Wirbelsäule und Kopf
werden am Ende eines solchen Rundgangs überprüft. Die so entstehenden Momentaufnahmen
sollen ihm Auskunft über übungsbedingte Veränderungen geben und können langfristig seine
allgemeine Körperbewußtheit verbessern.
(Vgl. Moshé Feldenkrais ”Bewußtheit durch Bewegung“, S. 95/96 unter 5.)
_______________________________________________________________________________
2.6 Arbeitsprinzip 6: 16
Lateraler Vergleich
Der menschliche Körper ist nach Knochengerüst und Muskulatur symmetrisch und daher
auf jeder Seite mit den gleichen Bewegungsmöglichkeiten ausgestattet. Es besteht also von
den anatomischen Voraussetgungen her kein Grund, etwas das z.B. die rechte Hand kann,
mit der linken Hand nicht zu können. Daß die Fähigkeiten der Körperseiten dennoch
unterschiedlich sind, liegt in der funktionalen Asymmetrie der beiden Großhirnhälften
begründet, durch die es zur lateralen Spezialisierung kommt. Der Mensch gebraucht nicht
nur seine Hände, sondern auch viele andere Körperteile
oder Körperregionen links und rechts
unterschiedlich.
Daher kann er durch bewußtes Erspüren der sensorischen Eindrücke Bewegungen vergleichen
und deren Eigenarten durch die Unterschiede und Ähnlichkeiten erkennen. Die sensoriellen
"Bilder" schaffen Urteilskriterien und damit Unterscheidungsvermögen im eigenen Körper,
wodurch ein Weg der Erkenntnis sozusagen von innen her beschritten werden kann.
Manche Klavierspieler berichten, sie hätten unterschiedlich "gute" Hände.
Was liegt in so einem Fall näher als dies: durch Vergleiche genau zu untersuchen, worin
eigentlich das Können und Nichtkönnen der beiden Hände besteht, was man denn mit der
einen Hand (oder Arm, oder Schulter) anders macht, als mit der anderen.
In der Feldenkrais-Methode finden sich für solche Vergleiche beispielhafte Arbeitstechniken:
a) Bei der "Prüflage" beginnt der Schüler schon mit dem Erspüren lateraler Unterschiede
und übt so sein inneres Auge im Vergleichen.
b) Durch folgenden Weg kann der Übende einen klaren Kontrast zwischen den Körperseiten
erzeugen, durch den Unterschiede deutlicher erkennbar werden:
Wenn man eine der (entsprechend strukturierten)Feldenkrais-Lektionen nur mit einer
Körperseite ausführt, trägt man auf der geübten Seite neue leichte, geschmeidigere
Bewegungsmöglichkeiten und auf der anderen Seite alte, steifere Bewegungsarten in sich.
Der auf diese Weise erzeugte, größtmögliche Kontrast der Bewegungsqualitäten links und
rechts hält einige Zeit an, bis er sich langsam verringert, indem die nicht benutzte Seite
beim Erspüren oder im Alltag sich der geübten anpaßt und etwas von ihrer Leichtigkeit
und Geschwindigkeit übernimmt.
c) Eine Erweiterung dieser Arbeitsweise beschreibt Moshé Feldenkrais in der 7. Lektion aus
"Bewußtheit durch Bewegung",(S. 168). Die ganze Lektion, die aus zunächst praktischen
Bewegungen zur rechten Körperseite besteht, soll anschließend zur linken Körperseite
nur in der Vorstellung durchgearbeitet werden.
Durch dieses Verfahren kann die linke Körperhälfte, auf der man nur 5 Wiederholungen
pro Bewegung und Position zu denken braucht, in kürzerer Zeit noch bessere Ergebnisse
erzielen, als mit rein praktischer Arbeit.
(Vgl. Moshé Feldenkrais ”Bewußtheit durch Bewegung“, S. 189)
Die Veränderungen der Beweglichkeit durch diese Vorstellungen kann erstaunlich sein.
_______________________________________________________________________________
2.7 Arbeitsprinzip 7: 17
Vorgestellte Bewegung
"Ohne jede Handlung ist es schwierig die Aufmerksamkeit beisammenzuhalten"
(Vgl. Moshé Feldenkrais ”Bewußtheit durch Bewegung“, S. 176)
- denn es entsteht leicht der Eindruck, daß nichts passiert.
Beim Denken einer Bewegung bleibt man durch Unklarheiten plötzlich stecken, der
Gedankenfluß wird unterbrochen und man schweift ab. Die Eigendynamik einer
ausgeführten Bewegung hingegen sorgt für Kontinuität, auch wenn die Aufmerksamkeit
durch Unklarheiten irritiert und abgelenkt wird. Wie schwer Denken statt Handeln ist,
belegen z.B. viele Klavierübende, die wider besseres Wissen in das pausenlose "Durchfingern"
einer Stelle geraten, bevor es ihnen gelingt Innezuhalten und die Unklarheiten in ihrer
Vorstellung zu suchen. Wenn ich in der klavierdidaktischen Literatur allein den
Umfang der technischen Studien und
Fingerfertigkeitsübungen mit dem Umfang der
Beschreibungen, wie man durch geistige Vorstellung besser musizieren lernt vergleiche,
drängt sich mir der Eindruck auf, viele Didaktiker geraten ähnlich wie manche
Klavierübende, allzu frühzeitig in den Bereich des Physischen.
Bewegungsvorstellungen im Rahmen der hier erläuterten
Arbeitsprinzpien sind nach
meiner Auffassung dazu geeignet, gute Erfahrungen zu sammeln und eine Arbeitstechnik zu
erlernen, die sich später auch in anderen Bereichen bewährt.
Moshé Feldenkrais präzisiert am Ende der 7. Lektion,
(Vgl. Moshé Feldenkrais ”Bewußtheit durch Bewegung“, S. 176)
was er unter Bewegungsvorstellung versteht und grenzt
die Möglichkeiten zugunsten einer überschaubaren Aufgabe folgendermaßen
ein:
"...tun sie es nur in Ihrem Geist. Das heißt: stellen Sie sich das Gefühl dieser
Bewegung in Ihren Muskeln und Knochen vor und gehen Sie dabei nicht weiter, als daß
Sie die Muskeln ganz leicht spannen, aber ohne irgendeine sichtbare Bewegung auszuführen".
Die Struktur einer Feldenkrais-Lektion sorgt unter anderem für Bedingungen, die für diese
Denkart besonders wichtig sind und die ich deshalb hier gesondert hervorhebe:
a) Die Bewegungen sind einfach, leicht, kurz und haben,jede für sich, einen klaren Anfang
und ein klares Ende.
b) Die Körperposition, in der eine Bewegung praktisch ausgeführt wurde, wird auch bei der
Bewegungsvorstellung eingenommen.
c) Jede zu vergeistigende Bewegung wird vorher mindestens fünf mal (siehe Arbeitsprinzip. 3a)
praktisch ausgeführt, während die Aufmerksamkeit auf die Sinneseindrücke in den Muskeln
und Knochen gelenkt wird.
d) Die geistige Vergegenwärtigung der beobachteten Sinneseindrücke erfolgt innerhalb
einer Lektion, also in relativ kurzer Zeit nach der praktischen Ausführung. So kann
die Erinnerung auf fast noch präsente, nahezu vollständige Eindrücke zurückgreifen und
im Inneren wachrufen.
_______________________________________________________________________________
2.8 Arbeitsprinzip 8: 18
Bewußtes Variieren und Differenzieren von Bewegungen
In der Feldenkrais-Methode gibt es eine Fülle von Wegen, den gewohnten Bewegungen
eines Menschen neue Möglichkeiten gegenüberzustellen, die ihn vor den
Beschränkungen durch Eingleisigkeiten bewahren helfen.
Er kann zwischen verschiedenen
Lösungen eines Problems wählen und ist daher nicht zwanghaft an einen Weg gebunden.
Der in diesem Sinne Lernende sucht also nicht eine einzige schnelle Lösung einer
Aufgabe, sondern er versucht Schwierigkeiten aufzulösen, indem er viele alternative
Bewegungen erprobt, variiert und differenziert.
Einige praktischeVerfahren dieser Art Bewegungslernens möchte ich hier kurz beschreiben.
Grundlegenden Einblick in motorische Lernprozesse des Menschen gewährt der folgende
Text von Moshé Feldenkrais (S 19), den ich meinen Beschreibungen voranstelle, um die
Sichtweise des Autors zu diesem komplexen Thema anzudeuten. Der Text und die
darauffolgenden Abschnitte a) und c) setzen Kenntnisse
über allgemeine Muskellehre, Motorik
und das Zentralnervensystem voraus, die sich z.B. in anatomischen und physiologischen Atlanten
nachlesen lassen (siehe Literaturliste).
Für die praktische Umsetzung der Arbeitstechniken sind jedoch keine Vorkenntnisse erforderlich.
_______________________________________________________________________________
Textauszug: (Moshé Feldenkrais ”Das starke Selbst” ,S.124-126) 19
9.Handlung, Hemmung, Ermüdung
Handlung eines Lebewesens geschieht durch Muskelkontraktion oder deren Lösung. Die absichtliche (willkürliche) Beherrschung seiner Muskulatur entsteht im Menschen durch lange und mühselige Erfahrung. Iın Fötus breitet sich jede Erregung wahllos über die gesamte Muskulatur aus. Wenn der Erwachsene eine neue Handlung versucht, finden wir eine ähnliche, aber weniger ausgeprägte Ausbreitung der Kontraktion. So, wenn wir zum Beispiel Schlittschuhlaufen, Radfahren,
Maschineschreiben, Schwimmen oder irgendeine Fertigkeit sonst lernen, führen unsere Muskeln nicht nur die
projizierte Handlung aus, sondern noch vieles andere, das unnötig ist und oft zu der motivierten Handlung im Widerspruch steht.Um koordiniert zu handeln, müssen wir vor allem lernen,
ungewollte Kontraktionen von Muskeln zu hemmen, die ohne oder gegen unseren Willen arbeiten. Wir müssen lernen, in der motorischen Hirnrinde die Zellen zu hemmen, in die sich die Erregung ausbreitet.
Bis wir gelernt haben, ein ganz bestimmtes Muster von Zellen in der gewünschten Reihenfolge zu erregen, werden dem ganzen Muster von Zellen entlang, die für die betreffende Bewegung unerläßlich sind, die angrenzenden Zellen aktiv werden. Ist nach angemessenem Lernprozeß die Fertigkeit erworben, so werden einzig die Zellen, welche die Muskeln für die gewünschte Handlung regieren, Impulse aussenden und alle anderen gehemmt sein. Ohne solche Hem-
mung ist keine koordinierte Handlung möglich.
Das Gefühl von Schwierigkeit oder Widerstand gegen eine Handlung entsteht indirekt durch unvollständige Hemmung der Zellen, welche die Antagonisten zu den Muskeln regieren, die zur Bildung des gewünschten Musters notwendig sind.
Meistens liegt die Schwierigkeit nicht in der Unfähigkeit, die parasitären Kontraktionen zu hemınen, sondern in dem Versuch, Handlungsmuster gleichzeitig auszuführen, die sich gegenseitig ausschließen. Wenn die Kraft der Kontraktion wirklich ungenügend und der Widerstand nicht die Folge unvoll ständiger Hemmung der unerwünschten, parasitären
Kontraktionen ist (wie etwa, wenn wir versuchen eine Kathedrale zu verschieben), dann findet keine Bewegung oder Verlagerung Statt. Richtig koordinierte Handlung scheint mühelos und fühlt sich auch so an, ungeachtet dessen, wie groß das Quantum Arbeit dabei tatsächlich ist. Das klingt wie des Guten zuviel, kann aber in jedem Fall nachgewiesen werden.
Man braucht nur Meister eines Fachs oder einer Kunst zu beobachten und auf ihre
Geschicklichkeit zu merken, um sich zu überzeugen, daß Anstrengung das Kennzeichen unvollkommener Handlung ist. Wenn eine oder eine kleine Anzahl motorischer Zellen aufgerufen wird, starke Erregungen zu erzeugen, während die angrenzenden Zellen gehemmt sind, werden sie schon nach wenigen aufeinander folgenden Wiederholungen ermüden.
Gleichzeitig wird die Hemmung der angrenzenden Zellen mühseliger und weniger vollständig. Wenn wir z. B. einen Finger auf eine ungewohnte Art bewegen, so werden die ersten paar Bewegungen der beabsichtigten Handlung sehr wohl entsprechen, die darauf folgenden aber immer mehr zu wünschen übriglassen. Es kommen parasitäre Kontraktionen ins Spiel, weil sich die Erregung auf die benachbarten Zellen ausgedehnt hat, so daß diese aktiviert und die Hemmung weiter zurückgedrängt worden ist.
In jedem von uns schlummert eine Unzahl möglicher Handlungsmuster, die wir noch nie benützt haben und die uns fremd bleiben. Gewisse Kombinationen kommen einfach nicht vor, und so kann es geschehen, daß eine sehr große Anzahl Zellen im motorischen Kortex brach oder dauergehemmt bleiben oder doch nur selten aktiv werden. Alle die anderen Zellen, die an den häufiger benützten Mustern beteiligt sind, werden immer wieder aktiv. Da die einzelne Zelle rasch ermüdet, erhalten die Muskeln, die zu vielerlei Handlungen und daher oft gebraucht werden, Impulse von vielen verschiedenen Zellgruppen, welche abwechselnd den gleichen Muskel regieren.
Bei jemandem, der beide Arme verloren und gelernt hat, mit den Zehen zu schreiben, muß die Ausdehnung der Gehirnpartie, der Fuß und Bein zugeordnet sind, größer sein als bei anderen Menschen, während die Partie des Daumens kleiner sein wird. Wenn eine Fertigkeit erworben wird,ernt auch eine beträchtliche Menge benachbarter Zellen, sich abwechselnd zu dem
benötigten Muster von Erregung und Hemmung zu gruppieren, und die Handlung kann
dann mehrmals wiederholt werden, ohne an Qualität zu verlieren.”
_______________________________________________________________________________
20
a) Variation im Schwerefeld der Erde
Eine Bewegung kann in ihrem Winkel zur Schwerkraftrichtung variiert werden, indem man
verschiedene, ungewohnte Körper- / Raumbeziehungen herstellt, in denen die Bewegung
jeweils ausgeführt wird. Dadurch werden immer wieder andere Muskeln angesprochen und
die Arbeitsformen, die Koordination der Muskeln sowie die Belastung von Sehnen, Bändern
und Gelenken ändert sich jedesmal, obwohl die Grundform der Bewegung gleich bleibt.
Eine Bewegungsfigur wird so mehrfach in verschiedener Art im motorischen Gedächtnis
gespeichert, so daß für spätere neue Handlungen und Handlungsentwürfe ein größeres,
differenzierteres Angebot an Informationen, Programmen und Teilprogrammen bereitliegt.
(Vgl. Rywerant, Yochanan: ”Die Feldenkrais-Methode”, S. 148, 7.)
Ein Klavierspieler, der seinen rechten Arm unter Berücksichtigung der Arbeitsprinzipien
1 - 5 beugt und streckt und diese Bewegung in ihrem Winkel zur Schwerkraftrichtung variiert
(z.B.: aufrecht sitzend, auf dem Rücken liegend, auf der linken Seite mit angewinkelten
Beinen liegend, stehend und im Stehen vornübergebeugt),
wird vielleicht Stellen, bei denen das Ellbogengelenk stärker beteiligt ist, wie bei lauten
Oktavpassagen oder Sextakkordketten, anschließend leichter spielen können.
b) Verwendung ”künstlicher” Hilfsmuskeln
Mit einer oder beiden Händen kann man vielerlei Bewegungen anderer Körperteile
unterstützen, so daß sich der Kraftaufwand in der Gesamtmuskulatur anders verteilt
als gewöhnlich. Etwas von der auf diese Weise erreichten Leichtigkeit können die
Bewegungen anschließend auch ohne die Hilfe der Hände haben: In einer von Franz Wurm
auf einer Schallplatte gesprochenen Übung wird u.a. im Liegen der Kopf zwischen den
Handtellern hin- und hergerollt. Man kann die Kraft für
diese Bewegungsfigur mit dem
Kopf ausüben und die Hände eher passiv mitgehen lassen und umgekehrt.
Aktivität und Passivität der Muskeln des Kopfes und der Muskeln, die die Bewegung der
Hände bewirken, können sich im fließenden Wechsel
einander so annähern, daß man schließlich
kaum mehr spüren und unterscheiden kann, wo die Anstrengung geschieht.
Versucht man während dieses Wechselspiels den
Kraftaufwand insgesamt auf den
geringstmöglichen zu reduzieren, ändert sich die Qualität der Bewegungen
spürbar. Der Kopf wird sich anschließend auch von sich aus leichter rollen lassen.
Für einen Klavierspieler könnte z.B. interessant sein, die Arbeit des 4. Fingers seiner linken
Hand beim langsamen Repetieren eines Tones mit dem 2.Finger der rechten Hand zu
unterstützen.Indem er die Taste abwechselnd mit dem Finger der einen und
der anderen Hand anschlägt, (beide Finger haben
gleichzeitig Tastenkontakt,
Die gegenseitige Berührung der beiden
Spiel-Finger sollte dabei vermieden werden)
nähert er sich
allmählich der gleichmäßigen Beteilung beider Finger.
_______________________________________________________________________________
21
Wenn die kleinstmögliche Mobilisierung beider Finger im fließenden Wechsel zwischen
Aktivität und Passivität erreicht ist, kann er gleich darauf prüfen, wie der 4. Finger seiner
linken Hand nun alleinespielt.Oft wird Leichtigkeit der Fingerbewegungen durch trainieren
der Muskelkraft und Muskelschnellkraft erreicht.
Der hier beschriebene Weg kann eine ebenfalls wirksame Alternative
bzw.Ergänzung dazu sein.
c) Umkehrung gewohnter Koordination
Gewöhnlich, wenn man sich z.B. umdreht, um hinter sich etwas zu sehen,
dreht man Augen, Kopf, Schultern und Rumpf in die gleiche Richtung. Wer die
10. Lektion aus ”Bewußtheit durch Bewegung“, S. 200, ausführt, bekommt
einen starken Eindruck davon, welche erstaunlichen Änderungen in seiner Beweglichkeit
möglich werden, wenn er Augen und Kopf sowie Kopf und Rumpf in entgegengesetzte
Richtungen bewegt. Diese gegensätzlichen Drehungen erzeugen neue, verbesserte
Koordinationsmuster, die u.a. auch eine merkliche Erweiterung des Bewegungsumfangs
bewirken können.
Erlebt jemand eine solche Änderung, wird ihm unmittelbar begreiflich, daß die
aufgehobenen Einschränkungen nicht in seinem Bewegungsapparat, sondern in seinem
Gehirn, in Form von schlechten, gewohnten Koordinationsmustern existiert haben.
Es lohnt sich zu untersuchen, ob bei einer Bewegung verschiedene Körperteile
gleichzeitig beansprucht werden und ob einzelne dieser Körperteile in der
Gegenrichtung ihrer für diese Bewegung gewöhnlichen Beanspruchung bewegt werden
können.Für einen Klavierspieler kann es z.B. nützlich sein,die Drehung des Oberarmes und
die des Unterarmes um die Längsachse des ganzen, hängenden oder gestretkten Armes
(unter Berücksichtigung der Arbeitsprinzipien 1 bis S und 8a) in gegensätzliche
Richtungen zu erproben. Er sollte diese Bewegung nur in dem kleinen Umfang ausführen,
in dem sich jede Spur von Anstrengung vermeiden läßt. Die Wahrscheinlichkeit
ungeahnte Barrieren zu beseitigen ist bei diesem Verfahren groß.
Hier noch ein weiteres praktisches Beispiel: Die Änderung der Winkelverhältnisse zwischen
Fingern und Handteller beim Öffnen und Schließen der Hand geschieht gewöhnlich mehr
durch Fingerbewegungen, als durch Bewegung des Handtellers. Grob gesehen steht der
Handteller in Relation zu den Fingern still, während diese sich bewegen. Um diese
gebräuchliche Koordination umzukehren, könnte man die gestreckten Finger (ohne Daumen)
mit nach oben zeigenden Nägeln so auf einen Tisch legen, daß deren Grundgelenke freies
Spiel haben. In dieser Position könnte man den Handteller bzw. das Handgeenk heben und
senken, so daß nun die Finger stillstehen und vom Handteller aus die Winkelverhältnisse
geändert werden.
_______________________________________________________________________________
22
Ein Klavierspieler der sich etwa 15 Minuten Zeit nimmt und diese Bewegung unter
Berücksichtigung der Arbeitsprinzipien 1, 2, 4 und 8 d ausführt, währender auch darauf
achtet, sich nicht auf die Finger zu stützen, sondern nur deren leichten Kontakt mit der
Tischplatte beizubehalten, kann anschließend eine deutliche - vielleicht wünschenswerte -
Änderung seines Spielgefühls spüren. Er wird sich seiner Fingergrundgelenke bewußter sein.
d) Variation der Geschwindigkeit von Bewegungen
Die Geschwindigkeit und der Grad der Geschwindigkeitsänderung einer Bewegung kann
variiert werden, wobei die Frage, welche kleinstmögliche Änderung noch wahrnehmbar
sei, die Aufmerksamkeit in die in diesem Zusammenhanggünstige Richtung lenken
und die Neugierde wecken kann. Die Schnelligkeit spielt hierbei keine Rolle.
Es sollen nur möglichst viele Arten der Geschwindigkeitsänderung verfügbar werden.
Für einfache Bewegungen, die ihre Bahnen zwischen zwei Umkehrpunkten ziehen,
gibt es ein ideales Modell der Geschwindigkeitsänderung: das Pendel.
An einem Umkehrpunkt steht das Pendel in einem unendlich kleinen Moment still,
dann nimmt die Geschwindigkeit kontinuierlich bis zum Durchgang der lotrechten
Mittelstellung zu, um dann wieder bis zum Stillstand auf dem anderen
Umkehrpunkt abzunehmen usw.
Ein Klavierspieler, der horizontale Sprünge einer Hand über größere Distanzen in Zeitlupe
nach diesem Modell erprobt, wobei die Form der Bahnen der Finger in der Luft der Bahn
eines Pendels nicht ähnlich sein muß, jede Bahn aber von Boden zu Boden
der angeschlagenen Tasten reichen sollte, wird eine vielleicht bis dahin ungeahnte
Leichtigkeit und Treffsicherheit kennenlernen.
Viele überflüssige Anstrengugnen lassen sich in den Umkehrpunkten von Bewegugnen
entdecken, indem man am Ende einer Bahn innehält und nachfühlt, welche Muskeln
unnötig gespannt sind. Bei beliebigen Bewegungen ein Pendel zu imitieren ist ein gutes Mittel,
sie ökonomischer auszuführen.
_______________________________________________________________________________
2.9 Arbeitsprinzip 9: 23
Systematische Vervollständigung und Korrektur des Ich-Bildes
"Ein jeder bewegt sich, empfindet, denkt, spricht auf die ganz ihm eigentümliche Weise,
dem Bild entsprechend, das er sich im Laufe seines Lebens von sich gemacht hat.
(...) Das Ich-Bild besteht aus vier Teilen, die an jedem Tun beteiligt sind:
Bewegung, Sinnesempfindung, Gefühl und Denken."
(Moshé Feldenkrais ”Bewußtheit durch Bewegung“,S. 31)
Die qualitative und quantitative Beteiligung dieser Teile an Handlungen ist individuell
verschieden. An jeder Handlung sind die Bestandteile jedoch gleichzeitig beteiligt.
Sinnesempfindungen, Gefühl und Denken sind demnach immer mit Bewegung verbunden.
(Vgl. Moshé Feldenkrais ”Bewußtheit durch Bewegung“ Beisp. dazu S. 32)
Durch diese Verbundenheit mit der Motorik, ziehen Erkenntnisse über Bewegungen
Erkenntnisse über die anderen Bestandteile des Ich-Bildes nach sich. Darum beschränkt
sich der Ansatz der Feldenkrais-Methode auf die Untersuchung des motorischen Teils
des Ich-Bildes.
(Vgl.Moshé Feldenkrais ”Bewußtheit durch Bewegung“, S. 33; siehe hierzu S. 58 - 64)
"Die Physiologen haben im Laufe zahlreicher Experimente entdeckt, daß zumindest bei
elementaren oder Grundbewegungen die betreffenden Zellen der motorischen
Region der Gehirnrinde sich in der Tat zu einer Gestalt verbinden, die derjenigen des Körpers
ähnlich ist, und sie nennen diese Gestalt den homunculus. Mindestens was die
Grundbewegungen betrifft, beruht der Begriff des 'Ich-Bildes' auf konkreten Ergebnissen. (...)
Unser Ich-Bild ist viel kleiner als es sein könnte. Es besteht nur aus den Zellengruppen,
die einer tatsächlich benützt hat oder benützt."
(Moshé Feldenkrais ”Bewußtheit durch Bewegung“, S. 36/37)
Moshê Feldenkrais führt einige Beispiele für die Unvollständigkeit des Ich-Bildes an:
a) "Wenn einer sich flach auf den Rücken legt und systematisch versucht, seinen ganzen
Körper zu spüren, oder gleichsam auf ihn zu hören, d.h. wenn er seine Aufmerksamkeit
jedem Teil und Glied seines Körpers einem nach dem anderen zuwendet,so wird er
feststellen, daß sich die einen leicht erspüren lassen, während andere sozusagen stumm
oder dumpf und außerhalb seiner Wahrnehmung bleiben.
So ist es z.B. leicht, die Fingerspitzen oder die Lippen zu spüren, aber schon viel
schwieriger, sich seines Hinterkopfs - im Nacken, zwischen den Ohren - innezuwerden.
Der Grad der Schwierigkeit ist natürlich von Mensch zu Mensch verschieden: er hängt
von der Form sei nes Ich-Bildes an."
(Moshé Feldenkrais ”Bewußtheit durch Bewegung“, S. 44)
_______________________________________________________________________________
24
b) "Wenn einer die Augen schließt und so z.B. die Breite seines Mundes zuerst mit Daumen
und Zeigefinger der rechten Hand, danach mit den Zeigefingern beider Hände vor sich zu
zeigen versucht, so werden die beiden Angaben voneinander verschieden sein. Und nicht
nur wird keine von beiden der wirklichen Breite seines Mundes entsprechen: sie werden
wahrscheinlich beide um ein Mehrfaches zu klein sein oder zu groß.
c) Oder wenn einer, auch hier mit geschlossenen Augen, die Dicke seiner Brust zu schätzen
versucht, indem er vor sich seine Hände erst waagerecht und dann senkrecht weit
auseinanderhält, so wird er damit wahrscheinlich zwei ganz verschiedene Größen angeben,
deren keine dem wirklichen Maß auch nur nahekommen mag."
(Moshé Feldenkrais ”Bewußtheit durch Bewegung“, S. 45/46)
Um bessere Bewegungen zu erlernen, hält Moshé Feldenkrais den Weg der systematischen
Korrektur des Ich-Bildes für kürzer und gründlicher, als den Weg, einzelne Fehler und
Handlungen zu korrigieren. Zur Veranschaulichung verwendet er dieses einleuchtende
Bild:
"Die Korrektur einzelner Handlungen gleicht dem Korrigieren des Spiels auf einem
verstimmten Instrument. Richtig lernt und spielt sich's leichter auf einem gestimmten
Instrument, als auf einem verstimmten. Verbessert man die allgemeine Dynamik des
(Ich-)Bildes, so entspricht das dem Stimmen des Instruments."
(Moshé Feldenkrais ”Bewußtheit durch Bewegung“, S. 48)
Die 8., 9. und ll. Lektion aus "Bewußtheit durch Bewegung" widmen sich ausdrücklich
dem Körper-Bild, wobei diese Übungen anspruchsvolle Arbeitstechniken enthalten.
In der 11. Lektion soll sich der Lernende z.B. auf dem Bauch liegend eine Eisenkugel
vorstellen, die auf seiner Körperrückseite entlang rollt und so allmählich die unbewußten
Stellen erschließt.(Vgl. Moshé Feldenkrais ”Bewußtheit durch Bewegung“, ab S. 215)
Die Wirksamkeit der Methode beruht auf ihrem Ansatz, das Ich-Bild zu untersuchen
und systematisch zu vervollständigen und es zu korrigieren. Die Wirksamkeit der Anwendung
der hier beschriebenen Arbeitsprinzipien bei einzelnen Bewegungen, ist nach meinen
Erfahrungen auch ohne die Einbindung in den umfassenden Ansatz der Methode so groß, daß
bedeutende Erleichterungen erlebbar werden, die manchen vielleicht auch eine genauere
Untersuchung seiner Schulter-, Kopf-, Rumpf- und Beckenbewegungen oder seiner
körperlichen Gegebenheiten überhaupt, wünschenswert erscheinen lassen.
_______________________________________________________________________________
3. Möglichkeiten derAnwendung 25
der Arbeitsprinzipien zur Unterstützung
motorischer Lernprozesse des Klavierübens
Wenn man ein neues Stück am Klavier erarbeitet, können motorische Schwierigkeiten
zunächst so überwiegen, daß nur eine gründliche Auseinandersetzung mit ihnen eine
musikalisch befriedigende Darstellung ermöglichen wird. Manchmal will eine schwierige
Stelle trotz Anwendung aller bekannten Übetechniken nicht gelingen, so daß die zur
musikalischen Freiheit notwendige Sicherheit nicht aufkommen kann. In solch einem
Fall oder aus Neugierde, könnte man mit Hilfe der Art und Weise, wie in
Feldenkrais-Lektionen mit Bewegungen umgegangen wird und die in den
Arbeitsprinzipien von mir beschrieben wurden, neue, angemessenere Wege zur
Überwindung der Widerstände entdecken.
Ein Klavierspieler könnte die Bewegungsfigur einer schwierigen Stelle nach einzelnen
oder mehreren Arbeitsprinzipien ausführen und untersuchen. Er braucht die ersten beiden
Prinzipien z.B. nur beim Wort zu nehmen. (Langsame, fließende Bewegungen mit dem
geringstmöglichen Kraftaufwand; Aufmerksamkeit und ihre Richtung auf die
Bewegungsfigur und den Hintergrund.)
Oder er versucht, das 5. und 7. Prinzip zusammen anzuwenden, indem er sich hinlegt und
sich die Bewegungsfigur vorstellt.
Er könnte z.B. auch den Bewegungsablauf einer kurzen Spielfigur ganz langsam, leicht
und fließend, im Winkel zum Schwerefeld der Erde variieren, also das 1. und 8. Prinzip
verwenden. Im 8. Arbeitsprinzip finden sich weitere Beispiele.
Um den größten Nutzen aus derartigen Experimenten zu ziehen, um Verbesserungen
deutlich zu spüren und um entdeckte, günstigere Bewegungen und deren veränderte
Klangwirkungen bewußt in die Spielweise integrieren zu können, halte ich folgenden
Aufbau eigener Versuche für sinnvoll:
a) Eine Probe-Stelle am Klavier spielen:
Dabei sollte man gleichzeitig hören und nachspüren,wie die Bewegungen sich anfühlen:
ist es leichter oder schwerer; was bewegt sich mehr und was weniger; woher kommt
die Kraft, d.h. Welche Muskeln arbeiten; die Qualität des Klanges
usw. - Ein kurzer Überblick genügt.
b) Eine nach den Arbeitsprinzipien entwickelte Übung ausführen Man könnte auch eine der
veröffentlichten FeldenkraisLektionen ausführen und deren Wirkungen überprüfen.
Es gibt z.B. eine Lektion zur Steigerung der manuellen Geschicklichkeit, die sich dazu
besonders eignen würde: (Masters und Housten, München 1987, S. 116)
c) Die Probe-Stelle erneut am Klavier spielen, um die Eindrücke mit denen, die man
vor der Übung gewonnen hat, zu vergleichen. Die Deutlichkeit des Unterschiedes
ist am größten, wenn die Eindrücke vor und nach der Übung möglichst dicht
aufeinanderfolgen. Besonders wichtig ist, sich bei dem Vergleich nicht nur mit den
positiven Veränderungen zu beschäftigen, sondern auch die vorher schlechteren
Spielweisen zu reproduzieren, um wirklich genau zu wissen, was man nun anders macht.
Dadurch kann man sich eine fundierte Grundlage eigener Entscheidungen über
Lösungswege schaffen. Die Gefahr, sich hierbei alte Fehler erneut einzuprägen,
ist durch die bewußte Gegenüberstellung der Möglichkeiten ausgeschlossen.
_______________________________________________________________________________
26
3.1 Beispiel einer praktischen Lektion, die sich auf eine konkrete schwierige
Stelle einer Klaviersonate bezieht und zu deren Erlernen beitragen kann
3.1.1 Eine schwierige Stelle aus einer Klaviersonate
In dem letzten Satz der F-dur Sonate op. 10 Nr. 2 von Ludwig van Beethoven gibt es eine
0ktav-Tremolo-Figur in der rechten Hand (Takt 107 - 122), die einige Probleme in sich
birgt: Die Figur ist relativ lang, sie enthält Sprünge und Zick-Zack-Bewegungen
(Takt 115 - 117), sie wird zunehmend lauter (p - ff und sf) und hat ein hohes Tempo (presto).
Diese Stelle ohne störende Ermüdungserscheinungen zu beherrschen und im Tempo zu
bleiben, ohne an Präzision zu verlieren,
ist für manche Klavierspieler eine große Schwierigkeit.
3.1.2 Skizze der üblichen technischen Erarbeitung der Stelle
Ich möchte hier aufzeigen, welche der üblichen Wege es sind, die möglicherweise trotz
intensiven Übens nicht zum Erfolg führen. Durch die im Folgenden beschriebene
praktische Lektion kann ein Klavierspieler seine Sensibilität und seinen Reichtum an
Bewegungsmöglichkeiten so vergrößern, daß er durch diese grundlegende Verbesserung
seiner Anpassungsfähigkeit die Stelle mit Hilfe der bekannten Übeverfahren
meistern könnte.
Die Stelle enthält folgende Problemfelder, die im Übeprozeß mehr oder weniger
ge-trennt erarbeitet werden:
- die schnellen Lagenwechsel mit dem Oktav-Griff
- die Stützfunktion der Finger und der Hand
- das hohe Tempo des Tremolos
- die nötige Ausdauer
- die Präzision
Man beginnt mit dem Lagenwechsel der Daumentöne, die man in zunächst gemäßigtem
Tempo absichert. Die Oktavtöne der Außenhand werden ebenfalls alleine geübt. Hierbei
wäre ein gutes Forte angebracht, um die Stützfunktion der schwächeren Finger für die
Steigerung der Dynamik in der Figur zu konditionieren.
Nun kann man den Oktavgriff
zusammenfassen und die Lagenwechsel "unisono" durcharbeiten. Dazu könnte man auch
einmal sehr leise üben, um unzweckmäßige Bewegungen des Armes vermeiden zu lernen,
die sich im leisen Spiel sofort bemerkbar machen. Anschließend kann man das Tempo
steigern und den Oktavgriff im Tremolo spielen. Das Endtempo wird man in kleinsten
Tongruppen aufbauen. Zuerst könnnte man 2-Ton-Verbindungen als Vorschläge in
höchstem Tempo üben und diese 2er Gruppen in der Figur systematisch verschieben.
Sinnvoll wäre auch, einen der Oktavtöne liegenzulassen und den anderen zu repetieren
und umgekehrt. Ein beliebtes Mittel der Steigerung der Schnelligkeit besteht darin, scharf
punktierte Rhythmen zu verwenden. Anschließend wird man die Zahl der
Töne (die als Gruppen im höchstenen Tempo geübt werden) Schritt für Schritt erhöhen.
_______________________________________________________________________________
Um die für die 16 Takte nötige Ausdauer zu erlangen, wäre es angemessen das 27
Oktavtremolo ohne Lagenwechsel zu üben und das Tempo und die Dauer ganz allmählich
zu steigern. Man unterbricht sich dabei am besten, wenn sich auch nur die geringsten
Ermüdungserscheinigungen ankündigen und legt eine kurze Pause ein.
Vereinfachung und Erschwerung der Aufgabe kann man z.B. durch Veränderungen der
Spanne des Tremolo-griffes nutzbringend einsetzen. Die Präzision läßt sich steigern,
indem man triolische Akzente in der Figur spielt und bei jedem neuen Durchgang der
Figur um einen Ton verschiebt.
3.1.3 Reduktion der Spielfinger auf ihre grobmotorische Basis, die als
Ausgangsmaterial für die praktische Lektion dient
Die Tremolo-Figur wird durch die Drehung der beiden Unterarmknochen (Elle und Speiche)
umeinander ermöglicht, wobei die Hand und die Finger die Kräfte auf die Tasten übertragen.
Diese Bewegung wird als "Rollung", "Kippung" oder "Schüttelung" bezeichnet. Läßt man
die Hand und die Finger passiv, während man die Unterarmknoçhen umeinander hin- und her-
dreht, so ist dies die einfachste, gröbste Art, diese Bewegung auszuführen.
3.1.4 Die Bedeutung der Bewegung im Klavierspiel
Die Rotationsbewegung des Unterarmes kommt bei allen Formen des Tremolos,
bei Alberti-Bässen und bei sehr lauten Trillern vor. Die Freiheit dieser Bewegung ist
auch eine der notwendigen Voraussetzungen für das Erlangen rhythmischer und
dynamischer Ebenmäßigkeit von Tonleitern und Arpeggien, besonders im Legato.
Die Bedeutung der Bewegung läßt sich daher als grundsätzlich einordnen.
(Zur Überprüfung könnte man versuchenTonleitern und Arpeggien legato ebenmäßig
zu spielen, ohne die geringste Drehung von Elle und Speiche umeinander zu gestatten.)
Die Ausführung der nun folgenden Übung kann deshalb nicht nur bei der Erarbeitung der
genannten schwierigen Stelle hilfreich sein, sondern auf Grund der vielseitigen
Zusammenhänge in denen die Unterarmrotation als Bewegungselement gebraucht wird,
auch die Möglichkeiten eines Klavierspielers am Instrument allgemein erweitern.
3.1.5 Vorbemerkungen zur Ausführung der Übung
Wenn Sie in den nächsten drei Wochen ein Vorspiel, ein Konzert oder eine Prüfung haben,
sollten Sie die Übung nicht ausführen, weil die Gefahr besteht, daß Sie in der kurzen Zeit
die sich möglicherweise ergebenden Änderungen der Beweglichkeit und des
Bewegungsgefühls sowie deren klangliche Auswirkungen nicht mehr in Ihre Spielweise
integrieren können.
Wenn Sie Schmerzen in Muskeln, Sehnen oder Gelenken haben, sollten Sie ebenfalls auf
die Übung verzichten, weil die neu erlernten Bewegungen wahrscheinlich
Schmerzvermeidungsmuster enthalten, die für die hier u.a. angestrebte Anpassungsfähigkeit
unbrauchbar wären. Wer mit der Feldenkrais-Methode noch keine praktischen Erfahrungen
hat, könnte die "Tips für die Praxis" in Bewußtheit durch Bewegung, S. 94,
lesen, um sich zusätzlich zu informieren. Wem die Übung zu lang erscheint, der
kann sich auch einzelne, überschaubare Teile daraus erarbeiten, die er später zusammensetzt.
28
Hat man die Übung komplett ausgeführt und geht man gleich ans Klavier, wird durch die
häufigen, langsamen, leichten Bewegungen eines niedrigen Tones mindestens Arm und
in der Schulter haben, was behendes, präsentes Spiel behindern könnte. Dieser Mangel
wird sich schnell und ohne Aufwand beseitigen lassen.
3.1.6 Die praktische Lektion
a) Prüflage
- Legen Sie sich bitte auf den Boden, flach auf den Rücken, strecken Sie die Beine aus,
die Arme neben dem Körper und schließen Sie die Augen. Sie die Augen. Kämmen Sie
jetzt, sozusagen mit dem inneren Auge, ihren Körper durch, d.h. versuchen Sie zu spüren,
wie Ihr Körper auf dem Boden liegt, wie er mit dem Boden in Berührung ist. Sie brauchen
dabei an Ihrer Lage nichts zu ändern.
Beginnen Sie bei den Füßen:
Liegen Ihre beiden Fersen gleichermaßen auf dem Boden auf?
Berühren sie ihn jede mit der gleichen Stelle?
Und Ihre Waden: Fühlt die Art, wie Ihre linke Wade mit dem Boden in Berührung ist,
sich ebenso an, wie der Kontakt Ihrer rechten Wade?
Und Ihre beiden Kniekehlen: Ist die eine vielleicht dem Boden etwas näher als die andere?
Fühlen sich Ihre beiden Beine gleich lang und gleich schwer an?
Und die Hüften, das Becken links und rechts wie liegen sie auf dem Boden?
Wie liegt Ihr Brustkasten auf, die Rippen an Ihrem Rücken?
Bewegen Sie sich links und rechts auf die gleiche Weise während Sie atmen?
Vergleichen Sie den Kontakt Ihrer Schulterblätter, der Ellenbogen und der Hände
links und rechts. Mit welcher Stelle liegt Ihr Hinterkopf auf dem Boden?
Und Ihre Wirbelsäule, wie liegt sie? Können Sie die Stellen deutlich erkennen,
an denen sie mit dem Boden in Berührung ist und merken Sie, wo die Wirbelsäule
vom Boden weggehoben ist?
Versuchen Sie, den Bodenkontakt Ihres Körpers als ein Ganzes zu spüren. -
(Punkt a - die Prüflage:Nach einer von Franz Wurm besprochenen Kassette.)
b) Am Tisch sitzend
Setzen Sie sich an einen Tisch und legen Sie Ihren rechten Arm quer vor sich auf die
Tischplatte, wie es Ihnen am bequemsten erscheint. Drehen Sie den Arm so, daß er auf der
Kleinfingerseite zu liegen kommt und die Daumenseite nach oben zeigt. Die Speiche,
der Unterarmknochen auf der Daumenseite ist nun oben und die Elle, der Unterarmknochen
auf der Kleinfingerseite ist unten. Machen Sie mit den Fingern eine nur halb geschlossene,
lockere Faust.
Rollen Sie jetzt Ihre Faust langsam und leicht, wie ein Rad über den Tisch hin und her,
so daß sich die Speiche um die Elle dreht. Die Bewegung soll dabei nur in dem Umfang
ausgeführt werden, in dem sie wie geölt, d.h. ohne jeden Kraftaufwand, möglich ist.
Während Sie mit der Bewegung fortfahren, achten Sie darauf, wie sich der Kontakt des
Unterarmes zum Tisch ändert. Wie nahe am Ellbogen können Sie Veränderungen spüren?
Versuchen Sie jetzt, Ihren rechten Unterarm völlig passiv zu lassen und erzeugen Sie
die Dreh- oder Rollbewegung nur mit Hilfe der linken Hand.
_______________________________________________________________________________
29
Greifen Sie dazu von oben verschiedene Stellen des liegenden Unterarmes.
Machen Sie einige Bewegungen hin und her mit Griff nahe beim Ellbogen,
einige mit Griff in der Mitte und einige mit Griff beim Handgelenk. Prüfen Sie genau,
ob Sie den rechten Unterarm in jedem Moment der Bewegung passiv lassen können.
c) Den Unterarm auf dem Kopf
Legen Sie Ihren rechten Unterarm auf Ihren Kopf und rollen Sie ihn dort hin und her.
Sie werden eine dafür bequeme Stellung ein wenig suchen müssen. Fahren Sie mit
dieser Bewegung fort und prüfen Sie: Ist diese Bewegung leichter oder schwerer als
die vorige? Können Sie die rechte Hand lockerlassen? Wie groß ist der Umfang der
Bewegung in dem sie leicht möglich ist?
Können Sie merken, wie sich dieses Mal die Elle um die Speiche dreht?
Machen Sie eine kurze Pause.
d) Der Arm hängt zur Seite herab
Lassen Sie jetzt, sitzend, Ihren rechten Arm zur Seite herabhängen. Vielleicht müssen Sie
auf dem Stuhl etwas nach rechts rücken, damit Ihr Arm frei hängen kann.
Drehen Sie langsam, fließend und leicht, Hand und Finger locker hängend, Ihren Unterarm
um seine Längsachse hin und her und stellen Sie dabei fest: Wie leicht fühlt sich die
Bewegung an? Ist sie fließend oder ein wenig sperrig? Können Sie merken, ob auch
der Oberarm die Drehung oder Rollung mitmacht? Welcher Bewegungsumfang ist Ihnen
leicht möglich?
Versuchen Sie nun, Ihren rechten Oberarm stillzuhalten, während Sie nur den Unterarm
einige Male drehen Anschließend gestatten Sie dem Oberarm die gleichsinnige Drehung
mit dem Unterarm und stellen Sie den Unterschied zwischen den beiden Arten fest.
Sie können die Bewegung sich auch ein paarmal entwickeln lassen, indem Sie beginnen
zuerst die Hand und den Unterarm zu rollen und dann den Oberarm allmählich
folgen lassen. Beachten Sie: In welcher Richtung fällt
Ihnen diese Entwicklung von einer
ungefähren Mittelstellung des hängenden Armes aus leichter?
e) Der Arm bildet ein L
Prüfen Sie jetzt, welchen größtmöglichen Radius die locker hängende Hand bei langsamer
Rollung des Armes beschreiben kann. Wählen Sie nur den Bereich in dem keinerlei
Kraftanstrengung nötig ist. Heben Sie Ihren rechten Unterarm bis zur Waagrechten,
so daß der hängende Oberarm und der gehobene Unterarm einen rechten Winkel oder
ein L bilden.
Lassen Sie die Hand locker in Verlängerung zum Unterarm sein.
Schwenken Sie den rechten Unterarm nach außen und zurück, ohne das L zu verformen.
Der rechte Winkel soll bei der Bewegung erhalten bleiben, so daß die Bewegung des
Unterarmes an die eines Scheibenwischer erinnert.
_______________________________________________________________________________
30
Während Sie mit der Bewegung fortfahren,
ohne an ihren Grenzen innezuhalten, achten Sie darauf, den Unterarm nicht weiter nach
außen zu zwingen als es von sich aus leicht möglich ist.
Machen Sie es behutsam und seien Sie weder ernst noch eifrig. Wenn Ihnen eine Bewegung
ermüdend erscheint, hören Sie für zwei, drei Sekunden auf und fahren Sie dann fort.
Können Sie Veränderungen in den seitlichen und rückwärtigen Partien des Oberarms spüren?
Fühlen Sie den Kontakt Ihrer Haut mit der Kleidung? Sind dort Muskeln in Aktion?
Versuchen Sie jetzt, Ihre rechte Schulter sanft nach hinten zu ziehen und gleichzeitig den
Unterarm nach außen zu schwenken und lassen Sie Schulter und Arm gemeinsam
zurückkehren. Wiederholen Sie diese Bewegung langsam einige Male hin und her.
Können Sie merken, wie sich der Umfang der Bewegung durch die Beteiligung der
Schulter allmählich vergrößert? Was spüren Sie beim Schwenken nach außen in Ihren
rechten Brustmuskeln?
Ohne die Bewegung zu unterbrechen, legen Sie die linke Hand auf den oberen
Teil des Brustbeins und erspüren Sie wieder, was sich in den Brustmuskeln ändert
und wie sich die Bewegung dem Brustbein mitteilt. Legen Sie die linke Hand wieder ab
und untersuchen Sie, wann Ihnen der Schwenk nach außen leichter fällt:
Während des Ein- oder des Ausatmens?
Lassen Sie Ihren rechten Arm wieder zur Seite herabhängen und prüfen Sie wie vorhin,
welchen größtmöglichen Radius die locker hängende Hand beschreiben kann, wenn Sie den
Arm langsam, fließend und leicht um seine Längsachse hin- und herrollen. Können Sie
Unterschiede feststellen?
Machen Sie eine kurze Pause.
f) Armrotation und Schulterbewegungen im Sitzen
Setzen Sie sich bitte wieder auf einen Stuhl und lassen Sie Ihren rechten Arm lang zur Seite
hängen und auch Hand und Finger brauchen keine Arbeit zu leisten. Lassen Sie den Arm
zunächst passiv und versuchen Sie, Ihre rechte Schulter ein wenig gen Boden sinken zu
lassen und bringen Sie die Schulter langsam wieder zurück in ihre Ausgangslage. Senken und
heben Sie Ihre Schulter mit passivem Arm einige Male, bis Ihnen die Bewegung vertrauter ist,
bis sie sich in kleinem Umfang leicht und fließend anfühlt.
Ohne die Bewegung zu unterbrechen beginnen Sie jetzt, während Sie die rechte Schulter
sinken lassen, gleich zeitig Ihren rechten Arm von der Hand aus nach innen, gegen den
Uhrzeigersinn, zu drehen. Der Daumen kehrt sich dabei Ihnen und dem Stuhl zu.
Wenn Sie die Schulter wieder heben, kehren Sie auch die Drehung des Armes um.
Wiederholen Sie diese Bewegung einige Male und versuchen Sie immer weniger Kraft
einzusetzen. Bleiben Sie aufrecht sitzen oder neigen Sie sich zur Seite; um der Bewegung
nachzuhelfen? Versuchen Sie im wesentlichen nur Schulter und Arm zu bewegen.
Hören Sie mit der Bewegung auf und versuchen Sie,wieder mit passiv hängendem Arm,
die rechte Schulter senkrecht nach oben zu heben und sie wie ihre gewohnte Lage
zurücksinken zu lassen. Machen Sie ein: zwei Mal ganz übertrieben große Bewe nach oben,
um anschließend den Umfang der Beauszuloten, der Ihnen leicht möglich ist.
_______________________________________________________________________________
31
Und jetzt, ohne die Bewegung zu unterbrechen, drehen Sie gleichzeitig mit dem Heben
der Schulter Ihren rechten Arm, dieses Mal nach außen, mit dem Uhrzeigersinn
Lassen Sie die Schulter wieder zurücksinken und kehren Sie gleichzeitig auch die
Armrotation um. Wieder holen Sie dieses Heben und Senken und nach außen und
innen Drehen einige Male, ohne zu eilen, ohne an denGrenzen, den Umkehrpunkten
der Bewegung, stehenzubleiben.
Und jetzt lassen Sie Ihren rechten Arm wieder passiv und heben und senken die Schulter
auf und ab. Schöpfen Sie dabei den Ihnen bequem möglichen Spielraum der Bewegung
voll aus, ohne Anstrengung und ohne unnötige zusätzliche Aktionen. Versuchen Sie
einige Male die Schulter besonders langsam sinken zu lassen und beachten Sie:
Was spüren Sie hinten an der Oberkante des Schulterblattes? Was am Schlüsselbein?
Ändert sich etwas an oder in der rechten Seite Ihres Halses? Können Sie Muskeln spüren,
die nachgeben, sich verlängern?
Ohne die Bewegung zu unterbrechen beginnen Sie wieder, die Rollung des hängenden
Armes hinzuzufügen. Wenn die Schulter abwärts sinkt, drehen Sie den Arm nach innen,
wenn sich die Schulter aufwärts hebt, drehen Sie den Arm nach außen.
Auf welche Art und Weise drehen Sie den Arm? Drehen Sie ihn als ein Stück?
Oder beginnen Sie mit der Hand und dem Unterarm und lassen Oberarm und Schulter folgen?
Bis jetzt war die Schulterbewegung abwärts mit der Innenrotation des Armes gekoppelt
und die Schulterbewegung aufwärts mit der Außenrotation des Armes.
Versuchen Sie jetzt, diese Kombination umzukehren. Drehen Sie also den rechten Arm nach
außen, während die Schulter sinkt und drehen Sie den Arm
nach innen, während Sie die
Schulter wieder heben. Wahrscheinlich wird Ihnen das nicht auf Anhieb gelingen.
Bleiben Sie gelassen und schaffen Sie sich in aller Ruhe Klarheit über das, was Sie tun
und wie Sie es tun.
Denkend und nachspürend werden Sie auch diese Bewegung langsam, leicht und fließend
ausführen können, ohne an Ihren Grenzen innezuhalten.
Machen Sie eine kurze Pause.
g) Im Stehen
Stellen Sie sich bitte hin und lassen Sie Ihre Arme locker herabhängen. Heben Sie Ihre rechte
Schulter sanft und drehen Sie gleichzeitig den rechten Arm nach außen.
Lassen Sie die Schulter wieder, soweit es von sich aus geht, sinken und drehen Sie
währenddessen den Arm nach innen.
Fahren Sie mit der Bewegung fort um sich ein kurzes Bild von ihrer Qualität zu machenund um diesen Eindruck für einen Vergleich im Gedächtnis zu behalten.
Und jetzt winkeln Sie den rechten Arm nach hinten ab, etwa so, als wollten Sie vorsichtig
mit der Außenseite des kleinen Fingers (nicht mit dem Ellbogen) nach einer
Wand hinter Ihnen tasten. Gehen Sie dabei nur so weit, wie es Ihnen bequem möglich ist.
Den Arm so abgewinkelt, die Hand locker in Verlängerung des Armes, versuchen Sie nun
wieder die zuletzt gemachte Bewegung. Probieren Sie es jeweils nur ein bis zwei Mal
hintereinander und entspannen Sie den Arm zwischendurch. Erkunden Sie behutsam die
Möglichkeiten, die es Ihnen erlauben, auch diese Bewegung leicht, langsam und fließend
auszuführen.Wie fühlt sich die Bewegung an, wenn Sie Ihre Schulter statt genau aufwärts
und abwärts, mehr zu Ihrem rechten Ohr hin heben und von ihm wegsinken lassen?
_______________________________________________________________________________
32
Nun lassen Sie den Arm wieder zur Seite herabhängen und probieren Sie die Bewegung
erneut in dieser Ihnen bekannten Lage, um die Eindrücke mit denen von vorhin zu
vergleichen. Jede bewußt gespürte Änderung trägt zu Ihrem Unterscheidungsvermögen bei.
Jede pauschale, frühzeitige Bewertung der Änderungen läuft dieser Bereicherung zuwider.
h) Prüflage, Seitenlage
Legen Sie sich auf den Boden, flach auf den Rücken, ruhen Sie sich aus und machen Sie
einen kurzen inneren Rundgang, wie zu Beginn der Übung.
(3.1.6 Die praktische Lektion a-Prüflage)
Liegen Sie jetzt anders auf dem Boden auf, als vorhin?
Drehen Sie sich auf die linke Seite, ziehen Sie die Beine an,so daß sich zwischen den
aufeinanderliegenden Oberschenkeln und dem Rumpf ein rechter Winkel bildet.
Legen Sie auch die Unterschenkel aufeinander.
Legen Sie Ihr linkes Ohr auf den linken Oberarm. Lassen Sie dabei Hals und Kopf mehr in
Verlängerung des Rumpfes zeigen und machen Sie sich's so bequem. Und legen Sie
schließlich noch Ihren rechten Arm langgestreckt auf die zur Zimmerdecke zeigende
rechte Körperseite.
Schieben Sie langsam und in ganz kleinen Bewegungen Ihre rechte Hüfte vorwärts und
rückwärts, so daß sich das rechte Knie auf dem linken Knie vor und zurück schiebt.
Versuchen Sie die Bewegung etwas gröber und größer zu machen, um sie dann wieder zu
verkleinern. Schon eine ganz kurzzeitige Vergröberung kann Ihnen zu einer klareren
Vorstellung von der Bewegung der rechten Hüfte verhelfen.
Fahren Sie mit der Bewegung fort und beachten Sie Ihre rechte Schulter:
Teilt sich die Bewegung der Schulter mit?
Versuchen Sie allmählich auch die rechte Schulter in ganz kleinen Bewegungen
- gleichsinnig mit der Hüftbewegung - vor und zurück zu schieben. Können Sie merken,
wie sich das Schulterblatt über die Rippen im Rücken verschiebt? Rollen Sie jetzt gleichzeitig
und gleichsinnig mit den Hüft- und Schulterbewegungen Ihren Kopf. Wenn die rechte Hüfte,
Knie und Schulter nach vorne gehen, rollt der Kopf in ganz kleinem Umfang mit und die
Nase nähert sich dem Boden.
Gehen Schulter und Hüfte zurück, entfernt sich die Nase wieder vom Boden, weil Sie den
Kopf mit zurückdrehen. Versuchen Sie auf diese Weise die ganze rechte Körperseite sanft,
langsam und in kleinem Umfang vor und zurück zu schwingen. Wenn Ihnen die
Bewegung klar ist, lassen Sie sie immer kleiner werden, bis das Sie keine sichtbare Bewegung
mehr ausführen und die Bewegung nur noch denken. Lassen Sie sich Zeit dazu.
Und jetzt führen Sie diese Bewegung wieder praktisch aus und versuchen Sie einen Weg zu
finden, den oben liegenden rechten Arm mitzurollen. Versuchen Sie die Drehung des Armes
in das sanfte, leichte Schwingen der rechten Körperseite einzufügen und in einen
gemeinsamen Fluß mit der Gesamtbewegung zu bringen. Solange Ihnen diese Bewegung
angenehm ist, machen Sie weiter und probieren Sie, ob sich die Bewegung ändert,
wenn Sie sie zwischendurch ein paarmal beschleunigen.
(Wenn Sie an dieser Stelle weiterexperimentieren wollen,
können Sie die Elemente dieser Bewegung gegeneinander führen. Bei den vier Elementen,
der Hüft-, der Schulter-, der Arm- und der Kopfbewegung,
gibt es viele Kombinationsmöglichkeiten.)
_______________________________________________________________________________
33
Legen Sie sich wieder auf den Rücken und wiederholen Sie noch einmal die Prüflage.
Wahrscheinlich sind Unterschiede jetzt deutlicher zu spüren. Stehen Sie langsam auf
und prüfen Sie die Auswirkungen der Übung in Alltagsbewegungen genau.
Vielleicht fühlt sich manches ein wenig leichter und geschmeidiger an. Wenn
Sie in beiden Körperhälften große Unterschiede merken, achten Sie in den nächsten
Stunden zwischendurch darauf, wie sich die Unterschiede verändern.
In dieser Übung wird die Ausgangsbewegung in immer komplexere Zusammenhänge gebracht.
Vielleicht können Sie, wenn Sie anschließend Klavierspielen, plötzlich Zusammenhänge
zwischen kleinen Hand- und Unter -armbewegungen und Oberarm- und Schulterbewegungen
spüren, die Ihnen bisher verborgen waren. Prüfen Sie alle Änderungen Ihres Klavierspiels genau
und urteilen Sie selbst.
Nachwort
Die Möglichkeiten für Klavierspieler und Lehrer, mit der Feldenkrais-Methode neue Wege
des Lernens und Lehrens zu entdecken, sind viel umfangreicher als ich es im Rahmen
dieser Arbeit darstellen konnte.
Neben einer didaktischen Aufarbeitung der hier aufgezeigten Verfahren für den
Klavierunterricht in den verschiedenen Altergruppen, gibt es andere interessante Gebiete,
die man mit neu zu entwickelnden Übungen erschließen könnte.
Übungen, die ein Transferlernen zwischen Zungenbewegungen, Atmung, Stimme
und Spielbewegungen gezielt fördern, wären ein lohnendes Unterfangen.
Übungen die den Gleichgewichtssinn, die Raumorientierung und die Resonanz der Stimme
im Körper verfeinern, könntem einem Musiker neue Qualitäten seines Hörens, Fühlens und
Denkens vermitteln, die sein Ausdrucksvermögen positiv beeinflussen würden.
_______________________________________________________________________________
34
Literaturverzeichnis
Feldenkrais, Moshê: Body and Mature Behaviour London, 1949
Abenteuer im Dschungel des Gehirns Frankfurt a.M. 1977
Bewußtheit durch Bewegung Frankfurt, 1978
Die Entdeckung des Selbstverständlichen Frankfurt a.M. 1985
Das starke Selbst Frankfurt a.M. 1989
Die Feldenkraismethode in Aktion Paderborn, 1990
Hoffmann, Bernd Handbuch des Autogenen Trainings
München, 1977
Kleist, Heinrich von Anekdoten Kleine Schriften, Band 5
München, 1964
Masters, R. / Houston, J. Bewußtseinserweiterung über Körper und Geist
München, 1983
Rywerant, Yochanan Die Feldenkraismethode
Heidelberg, 1985
Schmidt / Thews Physiologie des Menschen
Berlin, Heidelberg, New York, 1987
Taschenatlas der Physiologie dtv Mümchen, 1979
Taschenatlas der Anatomie dtv Stuttgart, New York, 1987
Triebel-Thome, Anna Feldenkrais
München, 1989
Willimczik / Roth Bewegungslehre
Hamburg, 1983
klavierunterricht-bj-wuppertal.de